„Fleischlos glücklich“: die Reformbewegung in Bayern

 

Ob vegan oder vegetarisch, Paleo oder Rohkost, Frutarier oder Pescarier – alternative Ernährungsformen liegen voll im Trend und werden in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert. Doch die Frage der richtigen Ernährungsweise ist nicht erst ein Thema unserer Tage. Bereits weit vor dem Ersten Weltkrieg propagierte man eine naturnahe Lebensreform als Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen der Industrialisierung und der Moderne.

Einer der prominenten Vordenker dieser Reformideen war der Maler Karl Ludwig Diefenbach (1851-1913), der in München an der Kunstakademie studiert hatte und gern in Sandalen und Kutte auftrat. In der Bevölkerung war er unter dem Spitznamen „Kohlrabi-Apostel“ bekannt. Bereits 1912 gab es 25 Vegetariervereine im deutschen Kaiserreich mit rund 5000 Mitgliedern. 1929 fand in Böhmen der siebte Internationale Vegetarier-Welt-Kongress statt. Auch in der Gastronomie hielt der vegetarische Gedanke Einzug. 1908 verzeichnet das Münchner Gewerbe-Adressbuch acht vegetarische Gaststätten, darunter das Restaurant „Reform“ in der Augustenstraße.

Auf die Mangeljahre nach Kriegsende 1945 folgte das Wirtschaftswunder. Trotz des gefühlten Nachholbedarfs bei Fleischgerichten kamen Vegetarier beim Essengehen nicht zu kurz. Die Gaststätte „Quisisana“ in München bot in den 1950er Jahren neben „Kalbshaxe fein garniert“ auch rein vegetarische Speisen an. Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv haben sich diese raren Quellenzeugnisse des Zeitgeists erhalten.

Dr. Richard Winkler, stv. Leiter des Bayerischen Wirtschaftsarchivs